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Geld und Erfahrung
Max Eyth




Max Eyth

Geld und Erfahrung





Einleitung


Geld und Erfahrung! Man kennt das Geschichtchen von den beiden Männern, die zusammen ein Geschäft begründeten. Der eine brachte das nötige Geld dazu mit, der andere die Erfahrung. Als aber ein paar Jahre ins Land gegangen waren und die beiden sich wieder trennten, da hatten sie die Rollen getauscht: der das Geld mitgebracht hatte, der hatte jetzt die Erfahrung; aber der andere hatte das Geld.

Das Geschichtchen ist eines von denen, die ewig neu bleiben und die sich in der Welt immer wieder abspielen. Umsonst ist der Tod, und Erfahrung gewinnt man nicht, ohne Lehrgeld dafür zu zahlen. Es hilft nichts, daß man darüber klagt und jammert. Man wird am besten damit fertig, wenn man gute Miene zum bösen Spiel macht und sich mit fröhlichem Humor in sein Schicksal findet. Das haben wenige so gut verstanden wie Max Eyth. Sein ganzes Jünglings- und Mannesalter ist ein einziges Sammeln von Erfahrungen gewesen, und er hat sie alle redlich bezahlen müssen. Aber statt sich darüber zu grämen, hat er aus all seinen Erlebnissen lustige und unterhaltsame Geschichten gemacht, von denen dieses Buch eine treffliche Probe gibt.

Es gibt Schriftsteller, die sich ihre Bücher zusammenfabeln, weil sie uns recht absonderliche Dinge erzählen wollen, ohne Rücksicht darauf, ob sie wahr sind oder nicht. Und es gibt andere, die sich ihre Bücher zusammenträumen, während sie irgendwo in der schlichten Alltäglichkeit sitzen und sich heimlich hinaussehnen in Abenteuer, in fremde Länder und zu fremden Menschen. Max Eyth hat nicht gefabelt und nicht geträumt: er hat erlebt. Und das, was er erlebt hat, hat er mit klarem Auge und fröhlichem Wesen beobachtet und dann niedergeschrieben, andern zur Belehrung und zur Freude.

Max Eyth ist im Jahr 1836 im Pfarrhaus des Städtchens Kirchheim unter Teck geboren worden. Die Kunst, mit der Feder umzugehen, war ihm von seinen Eltern überkommen, die sich beide dichterisch betätigten. Daneben hatte er schon in seinen Kinderjahren besonderes Interesse an praktischen Dingen, an Maschinen. Und so entschied er sich dafür, das Stuttgarter Polytechnikum zu besuchen, um Maschinenbauer zu werden. Das war damals, wo die Maschinen erst ganz allmählich anfingen, die Bedeutung zu gewinnen, die sie jetzt in der Welt haben, noch ein kühnes Unterfangen. Aber Max Eyth hat Zeit seines Lebens frischen Wagemut besessen und darauf vertraut, daß dem Kühnen das Glück lächelt und der Erfolg hold ist. Mit diesem Wagemut begann er sein Studium: mit diesem Wagemut beschloß er, als es glücklich beendet war, ins Ausland zu ziehen und sich draußen den Wind um die Nase wehen zu lassen.

Der Anfang war nicht vielversprechend. Er zog rheinabwärts und klopfte in all den großen Fabriken an, die sich links und rechts des schönen Stroms aufgetan hatten. Aber auf seine Frage nach einer Anstellung fand er von Mainz bis Antwerpen nur ein Achselzucken. Und es beweist seine Energie, daß er nicht reumütig umkehrte, sondern über See nach England ging, um dort sein Heil zu versuchen. Auch hier wiederholte sich zunächst, was er auf seiner Rheinfahrt erlebt hatte: Monat für Monat wurde er abgewiesen, wo er anklopfte. Endlich aber kam der Tag, an dem sein Ausharren belohnt wurde: sein guter Stern führte ihn mit John Fowler zusammen, einem der größten englischen Maschinenfabrikanten, der hauptsächlich Dampfpflüge baute.

Fowler berief Eyth in seine Fabrik. Ein Schraubstock, an dem er arbeiten sollte, und dreißig Schilling Wochenlohn: viel war es nicht, was dem jungen Ingenieur geboten wurde. Aber er griff rasch entschlossen zu und hatte es nicht zu bereuen. Bald fand er an den Dampfpflügen Gefallen und Fowler an ihm. Auf der Londoner Weltausstellung hatte er schon als Vertreter der Firma die dort arbeitenden Dampfpflüge zu leiten. Da er sich dabei ausgezeichnet bewährte, entsandte man ihn im Anschluß daran nach Ägypten. Halim Pascha, der Oheim des damaligen Vizekönigs des Pyramidenlandes, einer der größten Grundbesitzer in der ungeheuren Nilebene, wollte seine Güter besser ausnützen, als dies bei der bis dahin üblichen, altväterlichen Weise des Ackerbaues möglich war. Er bestellte bei Fowler ein paar Dampfpflüge und Eyth wurde ausersehen, sie ins Nildelta zu bringen, dort aufzustellen und aus der eingeborenen Bevölkerung die nötige Bedienungsmannschaft heranzubilden.

Es war keine Kleinigkeit, die hier gestellte Aufgabe in einem halb zivilisierten Lande zu lösen. Aber Eyth fand sich in die fremdländischen Verhältnisse so glücklich hinein und stand so wacker seinen Mann, daß Halim Pascha ihm den Antrag machte, als Oberingenieur ganz in seine Dienste zu treten. Eyth ging darauf ein und blieb vier Jahre in Ägypten.

Dann trat er wieder in die Dienste der Fowlerschen Fabrik, aber nicht, um in England hinter Zeichentisch und Schraubstock zu sitzen, sondern um das in Ägypten begonnene Wanderleben weiter fortzusetzen. Zunächst sandte man ihn in die Vereinigten Staaten von Nordamerika, um hier den Dampfpflug einzuführen. Es war bald nach der Beendigung des Sezessionskrieges und der Niederwerfung der Südstaaten, als er den Boden der Neuen Welt betrat. Wie es ihm dort erging, das hat er in »Geld und Erfahrung« ebenso anschaulich wie humorvoll geschildert. Der Kontrast zwischen Nord- und Südstaatlern, das übertriebene Selbstgefühl des Nordamerikaners, sein Drang, Geld zu »machen« um jeden Preis, kurz, das ganze, seltsam zusammengesetzte Wesen tritt uns in der Geschichte lebenswahr entgegen. Und Eyth verhehlt dabei nicht, wie er, der so stolz war, in Ägypten sich durchgesetzt zu haben, dieser amerikanischen Art zunächst ziemlich hilflos gegenübersteht, wie er erst allmählich sie begreift und festen Boden unter die Füße bekommt. Schließlich gelang es ihm auch hier, seinem Auftrag gerecht zu werden. Aber schon harrten seiner neue Aufgaben in der alten Welt. In Deutschland, Österreich, Belgien hatte er zunächst tätig zu sein. Dann ging er mit seinen Pflügen ins Innere des heiligen Rußland, das er verließ, um Fowlers Maschinen in Rumänien einzubürgern. Von Rumänien zog er nach Italien, und weiter übers Mittelmeer in die heißen Gefilde Algiers. Dann beorderte man ihn in die Türkei, die er nur verließ, um nach Westindien zu fahren. Als seine Aufgabe da erfüllt war, schickte Fowler ihn nach Peru und von dort wieder nordwärts nach Kalifornien. Wahrlich, ein buntes, wechselvolles Wanderleben. Und er lebte es nicht in gemütlichem Behagen als Vergnügungsreisender: wohin er ging, folgte ihm als treue Reisegefährtin die Arbeit.

Aber nach zwanzig Jahren solcher Tätigkeit war seine Wanderlust befriedigt. Er gab seine Stellung bei Fowler auf und kehrte nach Deutschland zurück. Freilich war er nicht der Mann dazu, sich hier ruhig auf die Bärenhaut zu legen: Erstens gründete er die große Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, deren Leitung ihm bis 1896 oblag. Und dann ging er jetzt daran, was er erlebt und erfahren hatte, schriftstellerisch festzuhalten und andern mitzuteilen. Damit beschäftigte er sich, bis ihn am 25. August 1906 der Tod abberief.

Eyths Erzählungen dürfen also nicht als freie Erfindungen angesehen werden. Er hat in ihnen nur Bruchstücke seines eigenen, abwechslungsreichen Lebens aufgefangen und dargestellt. Er hat sich aber nicht damit begnügt, die Wirklichkeit so peinlich treu wiederzugeben, wie etwa ein Photograph es tun würde, sondern er hat jedes Stück in einheitlichen Fluß gebracht und geschickt abgerundet, wie ein Maler die darzustellende Landschaft abrundet. Und er hat seine Erlebnisse nicht rein sachlich, trocken und nüchtern heruntererzählt, sondern er hat die Erzählung mit seinem köstlichen, herzerquickenden Humor gewürzt. Er sieht all die kleinen Schwächen und Absonderlichkeiten der Menschen, mit denen er zu tun hat. Aber sie machen ihn nicht zum Griesgram und nicht zum bissigen Spötter. Er freut sich an ihnen und möchte die Menschen gar nicht ohne sie sehen. Er lacht über sie ein gesundes, herzhaftes Lachen und weiß uns dies Lachen durch seine Darstellung mitzuteilen. Seine Bücher sind voll gesunder Lebenskraft und Lebensfreude. Das macht sie dem Leser lieb und wert, und das ist der Grund, daß sie eine so große Verbreitung gefunden haben.

Hamburg.



    Dr. Carl Müller-Rastatt.




1. Im Süden


»Passen Sie auf, Mister Eyth, wenn ich Ihnen die Geschichte noch nicht erzählt haben sollte: Vor drei Jahren begegnete mir im Broadway in New York ein junger Engländer, frisch und grün, wie sie die Alte Welt manchmal noch liefert. Er hatte schon drei Wochen in der Metropole der Neuen verbummelt und darüber nachgedacht, wie er es angreifen könne, sein Glück zu machen, und hatte sogar mich darüber befragt, obgleich ich damals so wenig wie jetzt danach aussah, als ob ich das Problem gelöst hätte. Ein Bürschchen aus guter Familie, dem seine Mama tausend Pfund in die Tasche gesteckt hatte, um ihm den Anfang zu erleichtern. Er strahlte vor Vergnügen, als ich ihn zum zweitenmal sah. Er hatte einen entfernten Vetter gefunden, der Amerika seit fünfundzwanzig Jahren kannte und schon ein halber Yankee geworden sein mußte, scharf und hell wie ein Eingeborener. Sie wollten sich assoziieren, ein Agenturgeschäft gründen, Zucker, Baumwolle, Tabak verkaufen – was weiß ich! Mein Engländer hatte das Geld, der entfernte Vetter die Erfahrung. Das mußte gehen! In fünf Jahren konnten sie Millionen verdient haben! – Zwei Jahre darauf begegnete ich ihm wieder, fast am gleichen Fleck; aber er war traurig. ›Nun, wie geht's mit der Agentur?‹ frage ich. – ›Mittelmäßig‹, sagt er zögernd. – ›Was!‹ rufe ich, ›Ihr Vetter mit der Erfahrung und Sie mit dem Geld – das mußte ja gehen!‹ – ›Wir haben uns gestern getrennt, mein Partner und ich‹, – erklärte er seufzend. ›Jetzt hat er das Geld und ich die Erfahrung!‹ – Passen Sie auf, Mister Eyth, daß ich mit Ihnen in kurzer Zeit nicht etwas Ähnliches erlebe. Seit dem Krieg sind wir alle zweimal so scharf geworden als vor fünf Jahren.«

»Gehört habe ich die Geschichte schon, aber nicht von Ihnen«, sagte ich lachend. »Doch bange machen gilt nicht. Ein Mensch, der in Ägypten vier Jahre lang unter Mamelucken und Eunuchen gepumpt und dampfgepflügt hat und aus dem großen Baumwollkrach vor zwei Jahren lebendig herausgekrochen kommt, ist so grün nicht mehr wie Ihr Engländer. Die Griechen und Armenier von Alexandrien sind keine schlechten Lehrmeister.«

»Mag sein«, nickte der Oberst, indem er nachdenklich an seinem zweiten Frühstücksei herumknusperte. »Ich wünsche Ihnen alles Glück zu Ihrem Glauben und Ihrer Schlauheit und wollte nur, der nächste Dampfer brächte auch mir einen Dampfpflug, der achttausend Golddollar wert wäre. Ich wollte ihn geschwind genug losgeschlagen haben, unter Kostpreis, wenn nötig.«

Wir saßen beim Frühstück an einem der grünen Tischchen im Garten des deutschen Restaurants und Biersalons von Breitling, in der Tschapatulastraße von New Orleans, Louisiana. Der Garten war eine Schöpfung nach Erinnerungen Breitlings aus seiner deutschen Heimat und bestand aus sechs Tischchen und einem alten, knorrigen, schlecht belaubten Hickorybaum, an dem als natürlicher Festschmuck zerlumpte Fetzen hängenden Mooses klunkerten. Der Baum stammte ersichtlich aus der Zeit, in der der Mississippi an dieser Stelle noch wildes Swampland anzuschwemmen pflegte, und stand jetzt trübselig zwischen vier hohen Backsteinmauern, die ihm und uns den stets willkommenen Schatten gaben. Die Luft war dumpf und schwül; doch war man sozusagen im Freien. Die Mittagsglut, welche über die große Stadt hereinzog, war morgens um acht Uhr noch nicht bis in diesen Winkel gedrungen, so daß schon seit vierzehn Tagen, seitdem ich in der Nähe wohnte, mir diese Frühstücksstunde zu den angenehmeren des Tags gehörte. Breitlings Figur, die seinem Namen, sonderlich von hinten, Ehre machte, und eine zerrissene, etwas bierbefleckte »Gartenlaube« sorgten dafür, daß man sich halb in Deutschland fühlen konnte.

Auch der Oberst, den ich hier kennen gelernt hatte, trug dazu bei. Es war ein großer, hagerer, vierzigjähriger Mann, dem man allerdings ansah, daß er einiges erlebt hatte. Schmettkow, Herr von Schmettkow erlaube ich mir ihn aus Rücksicht für seine Familie zu nennen. Er erzählte gerne von seinen leichteren Jugendstreichen, die er in die Zeit verlegte, in welcher er Rittmeister in der preußischen Garde zu Berlin gewesen sein wollte. Dies hatte wohl seine Richtigkeit; ich hatte wenigstens keinen Grund, daran zu zweifeln. Dagegen beobachtete er ein tiefes Schweigen darüber, wie es kam, daß er aufgehört hatte, es zu sein. Nach seiner eignen, etwas unzusammenhängenden Lebensskizze befand er sich plötzlich in Amerika, den üblichen Kampf ums Dasein fechtend, und zwar von der Pike auf; und von was für einer Pike! Der Ausbruch des Bürgerkriegs fand ihn bei Baltimore als Buchhalter einer Baumwollplantage, auf der Südseite der Sezessionsgrenze. Politische Grundsätze beeinflußten ihn sichtlich wenig. Er focht mit als braver Soldat und biederer Landsknecht, wo ihn der Zufall hingestellt hatte, und schied als Oberst von seinem nur noch aus vierundzwanzig Mann, meist Majoren, bestehenden Regiment, als die große Sache der Aristokratie des Südens zusammenbrach. Bei Atlanta, im letzten Gefecht, in dem sich das Regiment auszeichnete, hatte er einen Sergeanten der föderierten Armee unter Sherman samt der Kompagnie, welche dieser zufällig befehligte, beim Frühstück überrascht und gefangen genommen, oder vielleicht richtiger gesagt: er hatte Breitlings Frühstück gefangen genommen und diesen, der ihm sofort wieder entwischte, hierdurch unangenehm überrascht. Die beiden Herren konnten sich über den Hergang der Waffentat nie völlig einigen. Breitling war nach dem Friedensschluß mit andern politischen Kräften gen Süden gewandert und besaß nach kurzer amtlicher Tätigkeit als Steuereinnehmer genügende Mittel, seinen Biersalon in der Tschapatulastraße zu eröffnen. Dort überraschte ihn Oberst von Schmettkow zum zweitenmal, den ein rauhes Schicksal ebenfalls nach Louisiana verschlug. Es war hohe Zeit, denn der Oberst, einer der wenigen Deutschen, die auf der verlorenen Seite des großen Bürgerkriegs gefochten hatten, war dem Versinken nahe. Breitling hatte ein gutes, dickes Herz und zwei Töchterchen von elf und neun Jahren, die während der Kriegsjahre in ihren Elementarkenntnissen etwas zurückgeblieben waren. Das paßte vortrefflich. Der Oberst wurde Haus- und Mädchenschullehrer, hatte bereits sechs höhere Töchter und bei Breitling freie Kost gefunden. Das Dameninstitut befand sich im Tanzsalon hinter der Bierwirtschaft. Wo der Herr Professor wohnte, wußte niemand. Aber seine Schnurrbartspitzen hoben sich aufs neue, und der auf »Ä« gestimmte Ton des einstigen Offiziers vom Tempelhofer Feld klang leise und gedämpft wieder durch. Ganz war er ja auch im größten Elend nicht verschwunden, denn er war hörbar waschecht.

Ich selbst hatte vor zwei Wochen das Sankt Charleshotel verlassen und war in eine Privatwohnung in der benachbarten Tschapatulastraße übergesiedelt. Es war mir im Gasthof etwas zu unruhig geworden. Ein Senator von Alabama hatte am Hotelschenktisch nach dem Mittagsmahl im ruhigsten Gespräch sechs Schritte von mir einen Richter aus Texas niedergeschossen. Man hatte zwar den toten Richter sofort auf die benachbarte Polizeistation und den Senator, nach einem kleinen Wortwechsel mit den Umstehenden, nach seinem Zimmer gebracht. Auch ließ man dessen Tür von zwei nach und nach herbeigeholten Schutzleuten zur allgemeinen Genugtuung der ängstlicheren Hotelbewohner streng bewachen, nachdem der Senator kurz zuvor durch das Fenster abgereist war. Da ich diesen Herrn aus Alabama persönlich nicht kannte, mit ihm also auch nicht sympathisieren konnte, dagegen mit dem Richter, der gleichzeitig großer Grundbesitzer war, schon mehrere Cocktails getrunken und intime Beziehungen betreffs der Dampfkultur in Texas angeknüpft hatte, ärgerte mich dieser Zwischenfall lebhaft und veranlaßte, neben anderm, meinen Umzug nach der Tschapatulastraße. Auch fand ich, daß meine augenblickliche Beschäftigung, das Warten auf den englischen Frachtdampfer »Wild-West«, in einer Privatwohnung ebenso wirkungsvoll gefördert werden konnte als in dem in ganz Louisiana, wenn auch nicht wegen seiner Billigkeit, berühmten Sankt Charleshotel. Meinen anderweitigen leiblichen Bedürfnissen genügte das Nachbarhaus, Breitlings Restaurant und Biersalon, vollständig. Und so genoß ich nach etlichen bewegten Reisewochen in unerwarteter Weise eine kleine, wohlverdiente Ruhepause während meines ersten Aufenthalts in der Crescent City, der »Mondsichelstadt«, wie der poetische Amerikaner New Orleans zu nennen liebt, und konnte mir Land und Leute ansehen, ehe ich mit ihnen handgemein werden sollte.

Das heutige Frühstück war der letzte Takt dieser Pause. Ich hatte schon gestern abend einen Zettel von General Longstreet, dem Haupt der jungen Firma Longstreet, Owen & Co., erhalten, der mich benachrichtigte, daß der »Wilde Westen« signalisiert sei und an der Barre, der achtzig Meilen entfernten Mündung des Mississippi, nur auf die Flut warte, um heraufzukommen. Ich segnete meine Sterne und war schon in einem kleinen Arbeitsfieber, ohne etwas Greifbares tun zu können; denn es war hohe Zeit, daß ich meines Dampfpflugs habhaft wurde, wenn ausgeführt werden sollte, was ich mit Longstreet geplant hatte.

»Nur kühl!« rief mein Oberst, indem er auf die Uhr und die zwei internen Zöglinge seines Dameninstituts sah, die am Nachbartisch Lotto spielten. »Und passen Sie auf! Die Geschichte mit Ihrem Obersten in Washington – wie heißt er?«

»Olcott, Oberst Olcott, Kongreßmitglied aus Ohio«, antwortete ich mit Betonung, um meinen schwankenden Glauben zu stärken.

»Ich möchte vor allen Dingen wissen,« fragte sich Schmettkow nachdenklich, »ob er schon Pulver gerochen hat, Ihr Oberst, oder nur das riecht, das Sie mitbringen. Die Geschichte gefällt mir nur halb.«

»Aber sie kann kaum schief gehen, so wie sie jetzt eingeleitet ist«, meinte ich zuversichtlich.

»Es kann in Washington alles schief gehen, seitdem die große Sache schief gegangen ist«, versetzte der Oberst mit einiger Wärme. »Sie kennen die Yankees noch nicht. Ein Kongreßmitglied in Washington! Guter Gott! Ehe Sie sich umsehen, hat man Ihnen die Augen von Ihrem Wassersüppchen geschöpft. Vollends ein Kongreßmann, den man Ihnen in der Quäker-City angehängt hat, in der Sie am Sonntag in Gegenwart von sechshunderttausend Mitmenschen verdursten können! Lieber Herr Eyth, es mag ziemlich heiß sein in Ihrem Ägypten, aber Sie sind trotzdem grüner geblieben, als Sie es selbst ahnen. Passen Sie mal auf!«

»Hexen können Sie hier auch nicht«, meinte ich, etwas verstimmt. »Ich sehe wirklich nicht ein, wie –«

»Einsehen! Das ist gar nicht nötig. Das Einsehen kommt immer erst später. Sie werden Ihr Lehrgeld bezahlen wie jeder andre. Zum Glück haben Sie, wie es scheint, einen soliden Kassierer im Hintergrund. Lernen Sie wenigstens den benutzen! – Übrigens gebe ich zu, um Sie nicht zu ärgern, daß Sie die Sache nicht ganz ungeschickt angegriffen haben. Wenn Sie so fortfahren, werde ich Ihnen auch künftig gewogen bleiben.«

Er sagte dies im Ton gutmütiger Bevormundung, den wir bei unsern abendlichen Schachpartien unter dem Hickorybaum gegenseitig gebrauchten, um eine drohende Niederlage zu beschönigen. Die Sache aber, um die es sich handelte, war die folgende:

Ich war vor zwei Monaten mit dem Auftrag der Fowlerschen Fabrik ans Land gestiegen, unsre Dampfpflüge in Amerika einzuführen. Das war fast die einzige Weisung, die ich mitbrachte. Man steht mit einer solchen Aufgabe etwas zweifelnd am Strande eines neuen Weltteils; doch scheint der Zeitpunkt, aus der Ferne gesehen, nicht ungünstig. Die Südstaaten, die nach dem furchtbaren Krieg und nach der Befreiung der Sklaven in irgendwelcher Weise weiterleben mußten, hatten sich irgendwie den neuen Verhältnissen anzupassen. Für die Sklavenarbeit auf den Plantagen mußte ein Ersatz gefunden werden. Hier konnte die Dampfkraft eingreifen und nach der blutigen eine friedliche Revolution einleiten; wieder aufbauen helfen, was jene zerstört hatte. Ich war nicht ohne einige Begeisterung bei diesem Gedanken, wenn auch sehr seekrank, über den Atlantischen Ozean gekommen und suchte so rasch als möglich Angriffspunkte für meine Aufgabe zu finden. Leicht fand ich es nicht – nach einigen Wochen –, einen Weltteil zu erschließen; man mußte offenbar an die Arbeit im kleinen und einzelnen gehen. Doch hatte die Firma Fowler Freunde und sogar Verwandte in New York und Philadelphia, ein Haus, das »in Blei« groß geworden war und zur alten Aristokratie der Quäkerstadt gehörte. Hier fand ich wenigstens Ratschläge, auf die ich mich verlassen konnte.

Eins wurde mir sofort klar: mit einem Eingangszoll von fünfundvierzig Prozent des Maschinenwertes, der für jeden Dampfpflug viertausend Dollar in Gold, siebentausend Dollar in Papier jener Tage ausmachte, war die Einführung der Dampfkultur von England aus eine augenscheinliche Unmöglichkeit. Dieses Verhältnis mußte vor allen Dingen geändert werden. Mit einem Brief der Gebrüder Tatham, meiner Berater in Philadelphia, ging ich nach Washington und stellte mich am Schenktisch des Hotels Villard einem Herrn Oberst Olcott vor. Ich fand in ihm einen klugen, energischen Mann, der im Tone biederer Offenheit den kitzlichsten Verhandlungen den wohltuenden Schein der Ehrlichkeit zu geben wußte. »Der Zweck heiligt die Mittel« war für ihn ein über alle Zweifel erhabener Grundsatz. Es schien ihm völlig ausgeschlossen zu sein, daß in unsrer Zeit noch Menschen geboren werden könnten, die in diesem Punkt nicht völlig kapitelfest waren. Was aber die Heiligkeit des Zwecks anbelangt, so kam es eben hauptsächlich darauf an, wieviel dabei zu verdienen war.

Ein gemeinsames Frühstück, zu dem ich mir erlaubte, ihn sofort einzuladen, genügte, ihm das Wesen und die Vorzüge eines Fowlerschen Dampfpflugs zu erklären, ein Mittagsmahl, ihn von der Notwendigkeit der Einführung und Verbreitung dieses großartigen Fortschritts auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Technik zu überzeugen. Mit Papieren aller Art war ich wohl vorbereitet. Ein begeisterter Aufsatz, noch im Manuskript, stellte fest, daß namentlich der wirtschaftliche Wiederaufbau des Südens, dem durch die Sklavenbefreiung die Hauptquelle von Kraft und Arbeit entzogen worden war, nur durch Fowlers Dampfpflüge möglich sei, die in Ägypten in der Hand halbwilder Fellachin Wunder geschaffen hätten und in Indien – hier dichtete ich beträchtlich – die vertrockneten Riesenflächen entlang des Ganges in blühende Teegärten zu verwandeln in Begriff stünden. Ist es nicht die patriotische Pflicht einer erleuchteten Gesetzgebung, fragte ich in einem Wald von Ausrufungszeichen, die Einführung eines derartigen menschenbeglückenden Apparates mit allen zu Gebot stehenden Mitteln zu fördern? jeden Schritt freudig zu begrüßen, der den von ihren Irrtümern befreiten, aber heute daniederliegenden Bruderstaaten ihre materielle Wohlfahrt wiedergibt und sie gleichzeitig dem Fluch einer sündhaften Ausbeutung der Menschenkraft entzieht? Darf nicht erwartet werden, daß die weitsichtige Vertretung des größten Volkes unsrer Zeit mit Freuden das einzige Hindernis entfernt, das der Erreichung dieses herrlichen Zieles Schwierigkeiten bereitet, und ohne Verzug die Abschaffung oder wenigstens die zeitweise Aufhebung eines Prohibitivzolls auf Dampfpflüge beschließen wird?

»Sehr gut!« sagte Olcott, als ich ihm mein Memorandum vorgelesen hatte; »was bezahlen Sie dafür?«

Obgleich selbst nicht Amerikaner, war ich in einen patriotischen Schwung geraten, dem ich so rasch als möglich Einhalt tun mußte, um antworten zu können.

»Wofür?« fragte ich, ein wenig nach Luft schnappend, um Zeit zu gewinnen.

»Nun – für das Spezialgesetz, für die Aufhebung des Zolls auf Dampfpflüge, sagen wir auf ein Jahr.«

»Sagen wir auf fünf Jahre«, schlug ich vor, nach Fassung ringend.

»Gut! Nehmen wir an auf fünf Jahre. Wieviel?«

Ich schwieg. So nahe hatte ich mir das Ziel nicht gedacht. Das schien ja über alles Erwarten einfach zu sein. Aber die Frage kam mir doch mit gar zu betäubender Wucht über den Kopf.

Olcott sah mich verwundert an. Nach einer Pause bemerkte er:

»Ihr Dampfpflug mag vortrefflich sein. Das müssen Sie am besten wissen. Auch was Sie da auf Ihrem Papier haben, ist nicht übel. Jedenfalls läßt sich etwas damit machen. Aber Sie glauben doch wohl selbst nicht, daß man eine wertvolle Verordnung wie die, die Sie brauchen, durch den Kongreß drückt ohne Schmiermaterial. Da hat man zunächst alle möglichen Kosten: Druckkosten, Trinkkosten, Reisekosten, Konferenzkosten, Reklamekosten – alle möglichen Kosten, die sich nicht spezifizieren lassen! – Doch kommen wir zum Geschäft – Zeit ist Geld – Wieviel?«

So rasch ging es nun doch nicht, wie ich es voreiligerweise vermutet hatte. Die Verhandlungen dauerten drei Tage. Ich wand und krümmte mich, so gut ich konnte; Olcott hatte viel Geduld mit mir. Am zweiten Tag war ich nahe daran, in einem Anfall heiligen Zorns abzureisen; er half mir selbst meinen Koffer wieder auspacken. Ich sei furchtbar grün; das sei kein Wunder, meinte er, mich entschuldigend, bei meiner kurzen Anwesenheit in diesem großen und freien Lande; aber ich sei sichtlich ehrlich. Beides würde sich wohl mit der Zeit geben; dann könne noch ein tüchtiger Mann aus mir werden. Jedenfalls werde er meine Laufbahn mit großer Teilnahme verfolgen. Ich habe ihm vorläufig viel Spaß gemacht. Das einzige, was er bedaure, sei, daß ich mit ihm auf politischem Gebiet nicht ganz übereinzustimmen scheine. Dann formulierte er den zehnten Vorschlag eines Abkommens, das ihm die Dampfkultur Amerikas zinspflichtig machen sollte.

Schließlich waren wir am Ziel; wo ein Wille ist, findet sich ein Weg. »Oberst Olcott verpflichtet sich,« lautete die geheimnisvolle Vereinbarung, »nach Kräften dahin zu wirken, daß der Kongreß der Vereinigten Staaten von Nordamerika innerhalb der nächsten zwölf Monate die zollfreie Einfuhr von Dampfpflügen auf eine Reihe von Jahren, jedoch nicht unter drei, zum Gesetz erhebt. Für die hierdurch entstehenden Geschäftskosten und Bemühungen erhält Oberst Olcott von der durch Herrn Eyth vertretenen Firma zunächst zur Einleitung der erforderlichen Schritte tausend Dollar bar, sodann 7½ Prozent von jedem unter dem Gesetz eingeführten Dampfpflug, bis die erhaltene Summe zehntausend Dollar beträgt, und später 2½ Prozent bis zur Wiedereinführung des gesetzlichen Normalzolls für landwirtschaftliche Maschinen.« Damit konnten wir beide zufrieden sein. Ich oder vielmehr Olcott hatte mich überzeugt, daß man auch in der größten der Republiken dem Lande nicht umsonst Wohltaten erweisen kann. Ich fühlte eine gewisse Dankbarkeit gegen den Biedermann, der mit seinem offenen Lächeln der ganzen Verhandlung jeden bösen Schein abzustreifen gewußt hatte und mit Eifer an die Arbeit zu gehen versprach. Wir schieden an den Marmorstufen des Kapitols mit lebhaften Versicherungen gegenseitiger Hochachtung. Mir jedenfalls war es um tausend Dollar leichter zumute, was auch aus der Sache weiter werden sollte.

»Und seitdem haben Sie nichts mehr von Ihrem Oberst und Gesetzgeber gehört?« lachte Schmettkow etwas verächtlich, nachdem ich ihm die Geschichte zu meiner eignen Beruhigung beim dritten Male etwas ausführlicher mitgeteilt hatte. »Na, das wird schon kommen. Mit tausend Dollar ist mein Herr Kamerad im Norden nicht zufrieden. Ich kenne meine Pappenheimer.«

»Wir werden ja sehen,« meinte ich etwas kleinlaut; »unter tausend Dollar konnte ich wohl kaum erwarten, mit dieser Aufgabe durch Washington zu kommen. So weit kennen glücklicherweise auch meine englischen Freunde das Land. Im übrigen soll mich das alles wenig kümmern, wenn ich in ein paar Tagen meinen Dampfpflug zwischen die Finger bekomme. Dann sollen die Herren Amerikaner schon die Augen aufmachen.«

»Na, na!« machte der Oberst, in dessen Seele der Stolz des werdenden Yankees mit dem Ärger, in Amerika zu sein, in fortwährendem Kampfe lag. Wir hatten, wie es die Unsitte des Landes will, halb deutsch, halb englisch gesprochen und kaum bemerkt, daß sich auch am Nachbartisch jemand niedergelassen und zu frühstücken begonnen hatte: ein älterer, gutmütig aussehender Herr mit einem furchtbaren Knotenstock.

»Na, na!« sagte auch der neue Gast, sichtlich bestrebt, deutsch zu sprechen, fuhr aber dann sogleich auf englisch fort: »Entschuldigen Sie mich, Gentlemen; ich bin Mister Lawrences Bruder; Mister Lawrence, Magnoliaplantage, Plagueminegrafschaft, Louisiana – Sie kennen ihn?« –

Wir kannten nichts von all dem, glaubten ihm aber aufs Wort. Der Mann hatte ein so ehrliches, zutrauliches Aussehen, nahm seinen Knotenstock, ein wunderbares Naturerzeugnis, zwischen die Knie, stützte sein Kinn darauf und sah uns freundlich an.

»Dampfpflüge!« fuhr er nach einer Pause fort, »Dampfpflüge – das interessiert mich. Wir haben in diesem großen Land Dampfpflüge in Menge. In Vicksburg läuft einer seit drei Jahren – in Cincinnati – in Chikago –«

»Mein lieber Herr!« sagte ich etwas erregt, denn er hatte mich an einer wunden Stelle berührt, »das geht nicht! Ich bin noch nicht lange in Ihrem großen und ruhmgekrönten Land, aber eins weiß ich: den amerikanischen Dampfpflug, von dem mir jedermann erzählt, hat noch niemand gesehen. Haben Sie ihn schon gesehen?«

»In Baltimore ist einer,« fuhr Herrn Lawrences Bruder ausweichend, aber eifrig fort, »in Saint Louis hat erst vor wenig Wochen ein außerordentlich talentvoller Milchhändler einen Pflug erfunden, der mit dem Wind segelt. Warten Sie ein wenig; sehen Sie, hier!« – Er zog aus seinem geräumigen Rock ein großes, blaues Heft hervor, nachdem er sechs kleine Tüten, die mit Zuckerproben gefüllt waren, auf den Tisch gelegt hatte. Das blaue Heft enthielt zahllose, in kreuz und quer eingeklebte Zeitungsausschnitte, unter denen er eifrig nach dem gewünschten segelnden Pflug suchte.

»Haben Sie ihn gesehen?« fragte ich hartnäckig. »Nein? – Nun will ich Ihnen erzählen, wie es mir in diesem großen und erleuchteten Land damit ging. Auf der Überfahrt von Liverpool nach Boston sagte mir die ganze Schiffsgesellschaft, soweit sie amerikanisch war, daß es bei ihnen von Dampfpflügen wimmeln müsse. Ein Herr aus Boston meinte, in seiner Vaterstadt seien allein drei, wahrscheinlich in vollem Gang, denn er erinnere sich, schon als Schuljunge davon gehört zu haben. Ich hielt mich zwei Tage auf, um sie zu finden. Niemand wußte etwas davon. Aber in Philadelphia sei ein blühendes Geschäft, das sie fabriziere. Ich interessiere mich ein wenig dafür; es ist mein Handwerk. Ich gehe also nach Philadelphia und finde mit Müh' und Not die Adresse eines Herrn in New York, der einmal mit einem englischen Geschäft korrespondiert habe, um sich einen kommen zu lassen. Es wurde nichts daraus wegen des hohen Eingangszolls. Aber in Cincinnati sei ein Mister Fox; der mache amerikanische Dampfpflüge, hauptsächlich fürs Präriepflügen, höre ich in der Metropole der Welt. Ich gehe nach Cincinnati. Mister Fox war tot. In einem Schuppen fand ich eine alte Straßenlokomotive, die seiner armen Schwester gehörte und aussah, als ob sie Noah gebaut hätte. Pflüge wolle ich sehen? Nein, das sei nicht zum Pflügen; das sei ein Lastwagen mit Dampfbetrieb, erklärte mir die Schwester. Aber in Chikago: dort werden für die Maisfelder von Illinois Hunderte von Dampfpflügen gebaut. Ich war auf dem Weg nach dem Süden, aber ich ließ mich's nicht verdrießen: ich gehe nach Chikago. Die Firma Thompson & Smith, von der ich in Cincinnati gehört hatte, war bankrott. Einen Dampfpflug habe sie nie gebaut. Dagegen habe allerdings Mister Thompson einen erfunden, der zehn Morgen in drei Minuten aufbreche. Nur der Bankrott sei ungeschickterweise dazwischen gekommen, die epochemachende Erfindung auszuführen. Jetzt sei er in Kalifornien, um das Geschäft fortzusetzen. Dort werde eigentlich nur noch mit amerikanischen Dampfpflügen gearbeitet. So werde es in Louisiana wahrscheinlich auch sein, namentlich in New Orleans, seitdem die Sklavenarbeit aufgehört habe. Hier bin ich jetzt, Mister Lawrence,« schloß ich, ganz warm von meinem Bericht, »und Sie schicken mich nach Vicksburg. Bei Gott, es ist ein großes Land, Ihr Amerika! Aber die Geschichte von seinen Dampfpflügen fängt an, etwas monoton zu werden.«

Lawrence tat, als ob er mir nicht zugehört hätte, und suchte eifrig in seinem blauen Heft.

»Sehen Sie hier!« rief er triumphierend. »Vicksburg, den 2. November 1866 – na nu! Das ist eigentlich etwas andres, aber nicht weniger interessant, und zeigt Ihnen, was unsre Erfinder leisten. Ein Land mit solchen geistigen Kräften ist nicht umzubringen, darauf können Sie wetten! Hören Sie zu. ›Vicksburg, den 2. November. Wir vernehmen mit Vergnügen, daß es einem unsrer Mitbürger, einem genialen jungen Erfinder, Mr. Hodgekiß, nach langem Studium und kostspieligen Versuchen gelungen ist, einen Dampfneger zu konstruieren. Derselbe kann bereits Holz sägen, Maiskolben raspeln und Zuckerrohr kauen. In der gegenwärtigen verzweifelten Lage unsers Südens ist diese Erfindung von der höchsten Bedeutung. Der Neger ist gegen ein Eintrittsgeld von 5 °Cents zu New York, 218 Fultonstreet, zu sehen. Der geniale Erfinder ist nunmehr eifrig damit beschäftigt, auch ein Dampfmaultier anzufertigen, teilt uns jedoch in der liebenswürdigsten Weise mit, daß dies eine sehr viel schwierigere Aufgabe sei als die von ihm bereits glücklich gelöste. Es wird dies jedermann, auch der Nicht-Techniker, begreifen, wenn man bedenkt, daß ein Maultier gewöhnlich vier artikulierte Beine in Bewegung setzen muß, während der Neger nur zweibeinig ist. Mr. Hodgekiß ist übrigens noch nicht zweiundzwanzig Jahre alt und im Begriff, sich mit der reizenden Miß Evelin Sharp aus Warrenton zu verheiraten. Er geht mit dem Plane um, auf Grund seiner Erfindungen eine Dampfneger- und – maultier-Aktiengesellschaft mit beschränkter Haftpflicht zu gründen, worauf wir Kapitalisten und Freunde der Regeneration des Südens besonders aufmerksam machen.‹«

»Wieviel Aktien haben Sie genommen?« fragte Oberst von Schmettkow Herrn Lawrence, der sich siegreich umsah.

»Vorläufig noch keine«, sagte Lawrence, ohne eine Miene zu verziehen. »Mein Bruder befindet sich augenblicklich im Norden und will sich den Neger erst ansehen. Das ist jetzt nicht mehr so einfach als früher. Sie wissen, mein Bruder ist ein vortrefflicher Geschäftsmann und läßt sich nicht leicht einseifen. Man muß sich mit den Yankees in acht nehmen. Auch in der guten alten Zeit haben wir keine Neger gekauft, ohne sie anzusehen. Und wenn Sie uns Ihren Dampfpflug zeigen, wer weiß, dann läßt mein Bruder am Ende den Dampfneger fahren und läuft Ihnen nach. Es sollte mich freuen, Mister – Mister – wie heißen Sie?«

Ich befriedigte seine Neugierde.

Wir schüttelten uns heftig die Hände, während ich mich zum Fortgehen anschickte. »Mister Lawrences Bruder« gefiel mir, obgleich mir noch nicht ganz klar war, was ich aus ihm machen sollte. Jedenfalls war er ein lebender Beweis der Zuträglichkeit des Klimas von Louisiana, über das man mir in der Ferne viel Böses gesagt hatte. Sein breites Gesicht lachte harmlos, seine Äuglein blinzelten listig hinter den roten Wangen und unter den struppigen weißen Augenbrauen. Ein kindlicher Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des menschlichen Fortschritts schien der leitende Gedanke, die Poesie seines Lebens zu sein und ihn häufig, nach Art der Poesie, in etwas nebelhafte Regionen zu entführen. Wenn jedoch von Dollars die Rede war, hatte er plötzlich festen Grund unter den Füßen. Er hoffte, mich wieder zu sehen. Wenn mein Dampfpflug ankäme, wolle er der erste sein, der seinen Ruhm in der Crescent City verkündige. Und seinen Bruder wolle er mitbringen! »Sie wissen, wir haben dreitausend Acker Land in Zucker. Das ist kein Kinderspiel ein Jahr nach dem Krieg, wenn alles die Arme hängen läßt und die verfluchten Reisesäckler[1 - Carpet-baggers – politische Intriganten, die nach der Sklavenbefreiung aus den Nordstaaten in die Südstaaten reisten, um dort im Trüben zu fischen.] dem Süden den letzten Blutstropfen aussaugen. – General Longstreet, sagten Sie? Sie gehen zu General Longstreet? Das ist ein Mann, wie er sein soll, Mister Eyth, unser bester Soldat und heute der ehrlichste Baumwollmakler in ganz Louisiana. Ich werde Sie begleiten. Es ist mir eine Ehre, Sie zu General Longstreet zu begleiten.«

»Passen Sie auf!« flüsterte mir Schmettkow zu, der sich's zur Lebensaufgabe gemacht zu haben schien, mich vor den üblichen Gefahren des Landes zu schützen.

Dann gingen wir in die glühende Helle der Kanalstraße hinaus.




2. Eine Generalversammlung


Die Geschäftszimmer der Firma Longstreet, Owen & Co. in der Jacksonstraße bestanden aus zwei geräumigen, hellen Gemächern mit dem freundlichen Ausblick auf einen etwas verwilderten Garten, in welchem Palmetten, Kaktusbirnen und Aloes in der weißen Vormittagssonne schimmerten. Er mußte vor fünf Jahren ein prachtvolles Bild südlicher Pflanzenüppigkeit geboten haben. Jetzt schien er sich selbst überlassen zu sein, und seine Lianen machten ernstlich Anstalt, über das Haus wegzukriechen, um sich dessen Straßenfront anzusehen. Im äußeren, größeren Zimmer hausten die zwei jungen Owen, von denen der eine Major, der andre Kapitän genannt wurde. Dies waren sichtlich keine bloßen Ehrentitel: der Major hinkte infolge eines Schusses im Bein, der Kapitän hatte einen tiefen Säbelhieb in der im übrigen rosigen Wange. Das zweite, kleinere Gelaß war das Geschäftszimmer des Generals Longstreet, den Freund und Feind im Süden mit sichtlicher Hochachtung die rechte Hand des Generals Lee zu nennen pflegten, seitdem Longstreet selbst nur noch eine linke hatte. Seine eigne Rechte lag auf dem Schlachtfeld bei Chattanooga begraben. Alle drei waren jetzt ehrsame Baumwollmakler und Generalagenten für alles mögliche, was der Süden brauchen oder nicht brauchen konnte, auch für unsre Dampfpflüge. Ich selbst bin ein Mann des Friedens, und als mich der junge Owen mit der liebenswürdigen Höflichkeit des Südländers bat, ein wenig zu warten, da sich General Beauregard und General Taylor augenblicklich bei General Longstreet befänden, wurde es mir doch etwas schwül in dieser kriegerischen Umgebung, trotz der Baumwollproben, die auf allen Tischen und Gesimsen umherstanden. Doch so ist nun einmal das amerikanische Leben. Gestern standen die drei Männer, die im Nebenzimmer das Sinken der Baumwollpreise besprachen, an der Spitze von Armeen und schrieben in blutigen Schriftzügen an der Geschichte der Neuen Welt. Beauregard hatte zur Eröffnung des großen Bürgerkriegs die ersten Schüsse bei Fort Sumter abgefeuert, Taylor war vier blutige Jahre lang der Soldatenliebling aller Damen Louisianas gewesen, und Longstreet, eine mächtige, echt ritterliche Gestalt, hatte bis zum bitteren Ende beim Appomatox-Courthouse mit seiner verstümmelten Rechten an der Seite seines großen Chefs gefochten, wobei ihm die beiden Owen als seine persönlichen Adjutanten zur Seite standen. Der Kapitän hatte mir schon davon erzählt, wie es ihm und den Tausenden seiner halbverhungerten und halbverbluteten Kameraden am Abend bei der Übergabe der Armee, die den furchtbaren Krieg beendete, zumute gewesen war, wie ihm und allen andern eine Zentnerlast vom Herzen gefallen sei, an der sie seit Monaten geschleppt hatten, und wie er in der nächsten halben Stunde sein armes, halbtotes Pferd um 32 000 Dollar in konföderiertem Papiergeld verkauft und ein Paar Stiefel um 430 Dollar gekauft habe. So stand es damals um Stiefel, Pferde und Geld. – Etwas besser war's nun doch schon geworden. Taylor war Präsident des kleinen versumpften Kanals, der von New Orleans nach dem Pont Chartrin führt, Beauregard geschäftlicher Leiter einer im Bau begriffenen Bahn nach Texas, Longstreet und seine einstigen Adjutanten Baumwollhändler. Der Major war nicht anwesend. Er sagte mir, sein jüngerer Bruder sei auch in kaufmännischen Dingen noch heute Longstreets rechte Hand. »Lauter rechte Hände,« dachte ich, »und doch ist die ›große Sache‹ schief gegangen.«

Während mein neuer Freund Lawrence sofort in lebhaftem Gespräch mit dem jungen Owen seine Zuckertüten aus der Tasche holte, sie auf den Tisch schüttete und ihn für die herrlichen Kristalle der Magnoliaplantage zu begeistern suchte, öffnete sich die Tür des Nebenzimmers, und Longstreets breites, treuherziges Soldatengesicht winkte mir zu, einzutreten. Die beiden andern Heerführer standen um ein Tischchen und zupften mit jener langsamen, sachverständigen Handbewegung Baumwollflocken auseinander, die bewies, daß sie wußten, was sie taten. Jedes Gewerbe hat gewisse zünftige Bewegungen, an denen sich die Eingeweihten sofort erkennen: man weiß, wie der richtige Getreidehändler das Korn von einer Hand in die andre rollen läßt, der Zuckersieder den zähflüssigen Zucker zwischen Daumen und Zeigefinger ausspinnt und der Gastwirt seinen Kaviar empfiehlt, indem er Daumen und Zeigefinger zusammendrückt und mit halbgeschlossenen Augen den Mund zuspitzt, als ob er küssen oder pfeifen wollte. So wußte ich nun auch, daß sämtliche drei Generale aus Familien stammten, die große Baumwollplantagen besessen hatten.

Longstreet stellte mich vor: »Herr Eyth, Ingenieur und Vertreter der berühmten Firma John Fowler & Co. aus Leeds in England; Herr Eyth ist im Begriff, Gentlemen, einen Ersatz für unsre Neger in Louisiana einzuführen, so daß die farbigen Gentlemen sich in Zukunft mit größerer Ruhe der Anfertigung unsrer neuen Konstitution widmen können.«

Beauregard, ein schweigsamer Mann mit weißen Haaren, machte ein finsteres Gesicht und zeigte keine Lust, auf Longstreets Witzchen einzugehen. Der kleine, elastische General Taylor dagegen lachte.

»Was hilft das Zähneknirschen, Beauregard?« sagte er munter. »Wir sind geschlagen. Darüber ist kein Zweifel. Man muß sehen, wie man sich daran gewöhnt. – Waren Sie schon in unserm Abgeordnetenhaus?« wandte er sich an mich. »Dorthin müssen Sie gehen. Alles schwarz. So etwas hat man nicht gesehen, seit sich der Erdball um die Sonne dreht. Mein Plantagenhufschmied, der mich seinerzeit dreizehnhundert Dollars kostete, ist erster Schriftführer. Aber reden sollten Sie den Mann hören! Alle sechs Wochen erhöhen die Herren in namentlicher Abstimmung ihre Tagegelder. Bis jetzt war dies ihre einzige gesetzgeberische Tätigkeit. Aber reden muß man sie hören. O Jerusalem!« …

»Mittlerweile müssen wir jetzt danach sehen, wie man Maulesel beschlägt«, meinte Longstreet, »und den Boden aufreißt, Kanalschiffe durch die alten Swamps schleppt und Schienen im Sand von Texas begräbt. Das ist Beauregards Spezialität. – Sie also wollen uns pflügen helfen, Herr Eyth?«

»Ich hoffe so, General«, antwortete ich mit erwachender Zuversicht und fühlte mich den drei Helden des großen Bürgerkriegs mit jeder Minute menschlich näher. »Der Dampf hat schon größere Schwierigkeiten überwunden.«

»Sie scheinen einen guten Glauben an den Dampf zu haben«, meinte Beauregard grimmig. »Vor fünf Jahren ging mir's ähnlich: mit dem Pulverdampf!«

»Wenn einmal die erste Lokomotive über seine ›Texasstrandlinie‹ läuft, wird sein Glaube wieder lebendig werden«, sagte Taylor tröstend. »Nehmen Sie ihm ein paar hundert Aktien ab, Herr Eyth, wenn Sie den alten Bären lachen sehen wollen. Ich habe leider mit dem größeren Teil meines Vermögens meinen Salon tapezieren lassen: alles echte konföderierte Tausenddollarnoten, die die Yankees für uns fabrizierten. Das müssen Sie sich ansehen, ehe Sie uns verlassen. Verstehen Sie etwas von Kanalschiffahrt? Ich nicht; und ein unbehagliches Gefühl ist es für einen Soldaten und Kanaldirektor.«

Als in diesem Augenblick Major Owen eintrat, verabschiedeten sich die Herren mir gegenüber mit allgemeinem Händeschütteln, untereinander mit halb militärischen Grüßen und kaum bemerkbaren Blicken, die jedoch erraten ließen, daß sich unter der Oberfläche einer zu lauten Heiterkeit manches regte, das der Fremde nicht zu sehen brauchte.

»Galgenhumor!« sagte Longstreet, von der Tür zurückkommend, mit einem leichten Schatten auf seinem guten, wohlwollenden Gesicht. »Taylor hat sein ganzes, großes Vermögen endgültig verloren. Er hat zwei Schwestern, vor fünf Jahren die ersten Damen von New Orleans, die eine Nähschule anfangen wollen, um zu leben. Übrigens geht es uns allen nicht viel besser. Doch es wird wieder anders kommen! Bei Gott, schlechter kann's nicht werden! – Ihr Schiff, der ›Wilde Westen‹, muß jeden Augenblick hier sein, Herr Eyth. Der Major ist auf dem Zollamt, um den Betrag des Zolls festzustellen. Er hofft, Ihren Pflug um fünfzehnhundert Dollars hereinzubekommen. Natürlich muß er erklären, daß die ganze Sendung aus rohem Gußeisen besteht. Das wird ihm um so leichter, als er noch nichts davon gesehen hat und einen Dampfpflug von einem Bienenkorb nicht unterscheiden kann, wenigstens zollamtlich. Sie sehen, wir haben schon einiges von unsern nordischen Freunden gelernt. Im schlimmsten Fall müßten Sie allerdings beschwören, daß die Angaben meines Geschäftsteilhabers ihre Richtigkeit haben.«

Ich schnappte nach Luft. Jedermann kannte Longstreet als einen Ehrenmann ohne Furcht und Tadel, und seine treuherzigen blauen Augen sahen so kindlich in die Welt hinaus, daß ihm der größte europäische Spitzbube aufs Wort geglaubt hätte.

»Aber, General, das geht wirklich etwas zu weit«, stotterte ich. »Gußeisen! Seit zehn Jahren trompeten wir in Wort und Schrift in alle Welt hinaus, daß wir den besten Stahl an Stelle jedes Stückchens Gußeisen anwenden, das durch Stahl zu ersetzen ist. Ich habe erst gestern einen Zeitungsartikel an den ›New Orleans Picayune‹ gesandt, in dem ich mit Nachdruck darauf hinweise.«

»Und ist das alles, was Sie da geschrieben haben, so ganz wörtlich zu nehmen?« fragte Longstreet, indem er mich zutraulich anblinzelte. »Sehen Sie, lieber Herr Eyth, Sie müssen sich in unsre Sitten einleben. Geschworen wird bei uns das Blaue vom Himmel herunter; an das müssen Sie sich vor allen Dingen gewöhnen. Auf dem hiesigen Zollamt werden an guten Tagen etliche fünfzig Eide geleistet. Schweinefleisch, Baumwollballen, Stockfische, Seidenkleider, Guß- und Schmiedeeisen, alles, was die Barre passiert, wird im Namen des allmächtigen Gottes für das erklärt, was es meist nicht ist. Die ganze Union ist entlang ihrer zwölftausend Meilen langen Grenze von einem Schnellfeuer von Meineiden beschützt, die jahraus jahrein ununterbrochen, außer am Sabbat, gen Himmel knallen. Das verlangt die Konstitution dieses großen und erleuchteten Landes und gehört zum Segen des Schutzzolls. Sie sehen, wir sind ein religiöses und gesetzliebendes Volk, seitdem wir wieder zur glorreichen, unteilbaren Republik gehören und ein Rudel Schwarzer unsre Gesetze macht. Auch uns, den alten Herren von Louisiana, wird es nicht immer ganz leicht, im neuen Fahrwasser zu schwimmen, das kann ich Ihnen unter der Hand versichern.«

Major Owen trat ein, ein noch junger, hübscher Mann, dem man übrigens die Strapazen einer harten Zeit deutlich ansah, und bei dem unter der höflich lächelnden Oberfläche häufiger als bei Longstreet der verhaltene Grimm, die kochende Bitterkeit gegen die Verhältnisse durchbrach, in denen wir lebten. Der kurze Gruß der beiden zeigte deutlich die soldatischen Beziehungen der kaum vergangenen Zeit und zugleich von seiten des jüngeren Mannes eine fast schwärmerische Verehrung für den älteren. Man weiß in langen Friedenszeiten so viel von der Verrohung zu erzählen, die der Krieg mit sich bringt. Mitten im Kampf und oft genug nach demselben sieht man nicht selten auch Blüten und Früchte andrer Art.

Nein, es sei nichts mit den 1500 Dollars, berichtete der Major. Der Zolldirektor, ein regelrechter Reisesackpolitiker aus dem Norden, bestehe auf dem vollen Zoll von 4200 Dollars in Gold, wenn ich nicht vielleicht bereit sei, andre Überredungskünste in Bewegung zu setzen.

»Wieviel?« fragte ich. Diese Form der Frage begann mir schon geläufiger zu werden.

»Ich denke, mit 500 Dollars ließe sich der Gußeisenzoll erreichen«, sagte der Major nachdenklich. »Das wären noch immer 2200 Dollars in Ihre Tasche. Aber bei Jupiter! das müssen Sie selbst regeln, Herr Eyth. Ich habe die Spitzbubengeschichte satt.«

»Und ich bin für eine solche Verhandlung noch nicht lange genug in Ihrem großen und erleuchteten Lande gewesen!« rief ich in einer Aufwallung moralischer Entrüstung, die beide Herren höchlich belustigte.

»Aber Sie kommen doch aus der Türkei oder aus Ägypten«, meinte Longstreet nach einer Pause.

»Wohl wahr, und ich überlege selbst gelegentlich, worin eigentlich der Unterschied liegt. Das tröstliche Wort Bakschisch erklärt ihn vielleicht teilweise. Dort, einem schmunzelnden Effendi gegenüber, hat man das Gefühl, als sei dies alles, wie es der Schöpfer gewollt hat, als habe man es mit einer andern Gattung von Säugetieren zu tun, die nun einmal nicht leben können, wenn sie nicht geschmiert werden. Hier, im Verkehr mit Herren in schwarzen Sonntagshosen, mit einem Gesicht ernst und ehrenfest und wie aus Holz geschnitzt, finde ich den richtigen Ton noch nicht.«

»Das wird kommen, Herr Eyth,« meinte Longstreet, »ich fürchte, das wird rasch genug kommen. Eine im Grunde aufrichtige Natur wie Sie findet sich bei uns bald zurecht. Man muß uns nur verstehen. Sie haben noch keinen Begriff davon, mit welcher Ehrlichkeit unsre Spitzbuben zu Werke gehen. Lesen Sie die Verhandlungen, in denen der große Boß des Tammanyrings, Mister Tweed, in New York seit ein paar Wochen glänzt. Sie kommen gerade zur rechten Zeit hierher. Wir wissen das alles schon seit fünf Jahren: für Sie ist es eine gute Anfangslektion. Bitte, beachten Sie die Ehrlichkeit, mit der der Mann seine fünfzig Millionen aus dem Steuerbeutel der New Yorker gestohlen hat. Keine Intriguen wie in der alten, verrotteten Welt, aus der Sie kommen, keine Heimlichkeiten, keine Hintertreppengemeinheiten. Alles offen und geradeaus, was man auf beiden Seiten des Wassers ›fair play‹ nennt. ›Ich greife in die Stadtkasse und hole mir eine Million heraus – ungezählt. Sie, Mister Schatzmeister, drücken die Augen zu und erhalten hierfür dreimalhunderttausend Dollars. Abgemacht?‹ sagt der eine. – ›Abgemacht!‹ sagt der andre. Das war die Formel für alle Geschäfte des großen Mannes, der New York bis gestern regierte. Möglich, daß er jetzt ins Zuchthaus wandert. Alle zwölf Jahre schüttelt sich das unglaublich faule Volk der wirklich achtbaren Leute, und das Geschmeiß fällt ab. Wahrscheinlicher ist aber, daß er das Geschäft nach einigen Monaten wieder aufnimmt. Ein andrer, wenn nicht er, tut es sicher.«

Ich erzählte, was ich mit Olcott in Washington vereinbart hatte.

»Sehr schön,« sagte Longstreet, »für einen Anfang sogar recht brav gemacht! – Olcott? – Olcott? – Ich erinnere mich des Namens. – Major, wissen Sie, wo wir einem Olcott begegnet sind?«

»Wenn es der Artilleriehauptmann ist, der uns bei Chattanooga gegenüberstand,« sagte Owen, »so ist es wenigstens ein braver Soldat. Der Mann stand bei seinen zerschossenen Kanonen, bis der letzte Artillerist am Boden lag. James Olcott. Ich ließ mir den Namen von ein paar Gefangenen sagen, die zu seiner Batterie gehört hatten. Er selber entwischte uns schließlich doch.«

»James Olcott!« rief ich erfreut, »das stimmt! Da glauben Sie wohl auch, daß ich an den richtigen Mann geraten bin, der unsre Sache ehrlich vertreten wird?«

»Was das betrifft,« meinte Longstreet gedehnt, »warten wir's ab! Bei Chattanooga hätte ich dem Mann mein Vermögen samt Weib und Kind anvertraut, in Washington würde ich keinen roten Cent an ihn wagen. Für den Augenblick hilft uns Ihr Freund jedenfalls nichts. Sie müssen sich entscheiden: entweder bleibt der Pflug unter Zollverschluß, bis der Kongreß zu einer Entscheidung kommt – das mag sechs Wochen dauern oder sechs Monate oder sechs Jahre, kein Mensch kann es wissen – oder Sie entschließen sich, die 4200 Dollars zu zahlen. Einen dritten Ausweg sehe ich nicht, wenn Sie dem Zolldirektor keinen Privatbesuch machen mögen. Was wollen Sie tun?«

»Aber so viel Geld habe ich nicht hier«, bemerkte ich sorgenvoll.

»Natürlich, doch das ist einfach!« tröstete Longstreet. »Ein Wechsel auf Ihre Freunde in London regelt die Sache in drei Minuten.«

Kapitän Owens rosiges Gesicht sah zu der sich leise öffnenden Tür herein:

»Kann Sie Mister Lawrence sprechen, General? Der Bruder des Mister Lawrence von der Magnoliaplantage. Es betrifft den Dampfpflug.«

»Sicherlich!« rief Longstreet fröhlich. »Wie geht es Ihnen, Mister Lawrence?« Mister Lawrence stand nämlich schon mitten im Zimmer, den Hut auf dem Hinterkopf, beide Hände auf dem Knotenstock, die stämmigen Beinchen ausgespreizt wie eine kleine Kopie des Kolosses von Rhodos, und lächelte uns der Reihe nach verständnisvoll an.

»Wie geht es Ihnen, General?« rief er eifrig. »Ich bin Mister Lawrences Bruder von Magnoliaplantage, Plagueminegrafschaft; Sie wissen, General? Ein guter Südländer in der Zeit der Sezession. Aber wir müssen mit den Wölfen heulen und schließlich auch dampfpflügen, wenn unsre farbigen Herren es wünschen. Übrigens bin ich im Ausschuß der Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana und habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Was, sind Sie noch nicht bankrott?« fragte Longstreet verwundert.

»Die Landwirtschaftsgesellschaft? Noch nicht, im Gegenteil! Wir haben bloß kein Geld. Aber hier, dieser Gentleman aus der Alten Welt hat mir eine Idee eingegeben, aus der sich etwas machen läßt. Wir haben unsern Ausstellungspark vor der Stadt, einen prächtigen Platz. Die Herren Owen kennen ihn; Rennbahn, Tribüne, alles. Wir machen den nötigen Lärm, dafür lassen Sie mich sorgen. Herr Eyth läßt dort seinen Dampfpflug laufen, und die ganze Welt strömt zusammen, das Weltwunder anzustaunen. Überall hört man vom Dampfpflug; kein Mensch hat das Ding je gesehen. Das muß ziehen. Die Landwirtschaftsgesellschaft nimmt das Eintrittsgeld; Sie, General, haben die Ehre, den Süden zum zweitenmal zu retten; das heißt« – Lawrence wurde sichtlich verlegen – »das heißt zum erstenmal, und Mister Eyth verkauft ungezählte Apparate an die Yankees, die unsre Plantagen in Besitz genommen haben und nicht wissen, was sie jetzt weiter tun sollen.«

»Und die Kosten?« fragte ich nicht ganz ohne Bedenken, obgleich Lawrences Plan wie ein Lichtstrahl in das zweifelhafte Dunkel fiel, in dem ich bis jetzt gelebt hatte. Denn auch ich wußte kaum, wie ich weiterkommen sollte. »Es kostet ein rundes Sümmchen, Herr Lawrence, den großen Apparat, sagen wir, eine Woche lang auf Ihrem Ausstellungsplatz in Gang zu erhalten.«

»Ganz einfach!« sprudelte mein neuer Freund. »Die Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana schreibt einen glänzenden Preis für den besten Dampfpflug aus. Sie erhalten den Preis, den wir aus den Eintrittsgeldern bezahlen. Was kostet der Rummel, wenn wir acht Tage arbeiten?«

»Ich denke, ich sollte mindestens 500 Dollars haben, um die Kosten zu decken«, sagte ich, mit höchst unnötiger Gewissenhaftigkeit kopfrechnend.

»Sagen wir 750!« meinte Lawrence. »Gut! Morgen schreibt unser Komitee einen Preis von 750 Dollars aus; dafür lassen Sie mich sorgen.«

»Sie können nichts Gescheiteres tun, als ja sagen, Herr Eyth«, sagte Longstreet, sichtlich erstaunt über mein Zaudern. »Mister Lawrences Bruder ist ein praktischer Mann, das sieht man auf den ersten Blick. – Ich gratuliere Ihnen, Herr Lawrence! Sie sind ein würdiges Ausschußmitglied unsrer großen Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana!«

»Wann kann die Prüfung losgehen, Mister Eyth?« fragte Lawrence, ohne des Generals Komplimente zu beachten, indem er seinen Hut noch weiter auf den Hinterkopf schob, der vor Eifer zu dampfen schien.

Das war der rasche Pulsschlag des amerikanischen Lebens, der uns langsame Europäer manchmal fast betäubt. Ich hatte, wie es schien, zehn Sekunden Zeit, mir alles zu überlegen. Der Pflug, in etlichen fünfzig gewaltigen Kisten, schwamm noch wohlverpackt und unverzollt auf dem Mississippi. Ich wußte nicht, ob der unentbehrliche Monteur und Dampfpflüger mitgekommen war, ohne den es nahezu unmöglich war, eine öffentliche Vorstellung mit dem neuen Apparat und einer Bemannung von völlig unerfahrenen Heizern und Pflügern zu geben. Dann, wer weiß, in welch unpflügbarem Zustand sich der gerühmte Ausstellungspark befand, in dem das Experiment stattfinden sollte. Doch es war nicht mein erster rascher Entschluß. Frisch gewagt ist halb gewonnen, und die vierzehn Tage Wartens in der schwülen Luft des Mississippideltas hatten mich ein wenig ungeduldig und tatendurstig gemacht.

»Haben Sie ein Wechselformular zur Hand?« fragte ich.

Major Owen reichte mir die Feder; das Papier lag bereits säuberlich ausgeschrieben auf des Generals Schreibtisch, der es in wundersam wackligen, nach links fallenden Schriftzügen mit seiner noch vorhandenen Hand ausgefüllt hatte, während wir uns unterhielten. Ich unterzeichnete das Dokument, demzufolge die Herren John Fowler & Co. sich verpflichteten, vierzehn Tage nach Sicht dem Überbringer 4200 Dollars in Gold auszuzahlen.

Der Major verabschiedete sich mit dem kleinen Zettel, um ihn zu versilbern. Es war keine Zeit zu verlieren. Ein Junge stand im äußeren Bureau mit der Nachricht, daß der »Wilde Westen« soeben am Fuße der Tschapatulastraße anlege. Der Kapitän wolle wissen, was mit den fünfzig Maschinenkisten geschehen solle, die sofort ausgeladen werden müßten, da der Pflug als Deckladung verschifft sei.

Und damit hatte ich ja meinen Pflug und konnte die Neue Welt fünfzehn Zoll tief aufbrechen, wann und wo ich wollte!




3. Die erste Großmacht unsrer Zeit


Herrn Lawrences Bruder nahm seinen Knotenstock unter den Arm und rieb sich die Hände vor Vergnügen, als wir Longstreets Bureau verließen. »Sehen Sie, das freut mich!« rief er noch unter der Türe. »Seit sechs Monaten gebe ich mir alle erdenkliche Mühe, den Dampfnigger hierher zu bekommen. Aber der Kerl will zu viel Geld und verlangt dazu noch Vorausbezahlung. Das geht nicht. Der Erfinder ist kein Südländer, darauf können Sie wetten, und wenn er zehnmal in Vicksburg geboren wäre. Ein kniffiger Yankee, ohne Zweifel, der kein Herz unter den Rippen hat wie alle. Nun haben wir dafür einen Dampfpflug und Sie! Und Sie – Sie sind« – er suchte offenbar nach einem schmeichelhaften Ausdruck, doch was ihm einfiel, schien diesem löblichen Streben kaum zu entsprechen, so kam schließlich nicht viel dabei heraus – »Sie sind ein vernünftiger Mensch, ein ganz vernünftiger Mensch! Wenn ich etwas für Sie tun kann, Mister Eyth, rechnen Sie auf mich und auf meinen Bruder, der in vierzehn Tagen zurückkommt. Sie müssen sich die Magnoliaplantage ansehen, wenn Sie Land sehen wollen und Zucker. Haben Sie die hiesigen Zeitungsredaktionen schon besucht?«





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notes



1


Carpet-baggers – politische Intriganten, die nach der Sklavenbefreiung aus den Nordstaaten in die Südstaaten reisten, um dort im Trüben zu fischen.



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